Neuroprothese

Unter dem Begriff Neuroprothesen versteht man Schnittstellen zwischen dem Nervensystem und der Anbindung an ein elektronisches Bauteil zur klinischen Anwendung und medizintechnischen Forschung. Klassischerweise werden einzelne Mikroelektroden bzw. Elektrodenarrays (z. T. über 100 Elektroden) verwendet (Santhanam 2006), um eingeschränkte, pathologische oder verloren gegangene Funktionen des Nervensystems zu korrigieren bzw. wiederherzustellen oder normale Funktionen zu verbessern (Rutten 2002, Schwartz 2004 & 2006). Diese technischen Schnittstellen lassen sich nach ihren Anwendungsgebieten grundlegend in motorische und sensorische Neuroprothesen unterteilen. Neuroprothesen sollen ausgefallene Nervenfunktionen ganz oder teilweise wiederherstellen oder als sog. substitutive Methode einen Ersatz darstellen.

Die Neurowissenschaften umfassen heute neben biologischen, medizinischen und psychologischen mittlerweile auch philosophische und v. a. auch immer mehr (informations)-technologische Fragestellungen. Die Frage, inwieweit sich die Aktivität des Gehirns durch elektrische Stimulation artifiziell simulieren lässt, ist dabei sogar älter als die ersten offiziellen Erkenntnisse, dass eben jene Aktionspotentiale die tragende Rolle in der Sprache des Nervensystems spielen (Galvani 1791, Du Bois 1849). Schon 1755 unternahm der Mediziner Charles le Roy Versuche durch elektrische Stimulation des Cortex (Großhirnrinde) bei blinden Patienten Seheindrücke hervorzurufen (Le Roy 1755). Die elektrische Stimulation des Cortex war damit eines der ersten Verfahren der Neurowissenschaften, welches ermöglichte, eine Beziehung zwischen der corticalen Physiologie und der Wahrnehmung herzustellen. Die Forschung und medizinische Anwendung zur elektrischen Stimulation neuronaler Strukturen hat binnen der letzten Jahre eine Revolution erfahren. Dazu tragen v. a. die neuen biotechnologischen Entwicklungen der Schnittstellen (Elektroden-Interfaces) und neue mathematische Algorithmen bei. Die stimulierten neuronalen Populationen können direkt aktiviert oder auch inaktiviert werden, was eine direkte Untersuchung der funktionellen Relevanz erlaubt, während Ableitstudien nur Korrelationen zwischen neuronaler Aktivität und perzeptuellen Effekten leisten (Cohen 2004). Die Elektrostimulation entwickelte sich so zu einem weit verbreiteten Verfahren für die Untersuchung einer Vielzahl neuronaler Funktionen: von der zellulären Funktionsweise über Wahrnehmung bis hin zur neuronalen Plastizität (Maldonado 1996, Ma 2005).


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